Wo ein Hundle Stadtgeschichte schrieb...

Die Sage vom Brettener Hundle

MopsDas Hundle, wie es jeder kennt

Wie aber lautet nun die Sage vom „Brettener Hundle“ in ihrer allgemein bekannten und in Lyrik wie Prosa weithin verbreiteten Fassung?

Erzählt wird hierzu meist, dass die Stadt Bretten einst von einem großen feindlichen Heer belagert und von allem Nachschub abschnitten wurde. Die Nahrungsvorräte wurden immer weniger, weshalb eine Übergabe an die Belagerer schließlich ernsthaft in Erwägung gezogen werden musste. Da kam einer der Ratsherren (in manchen Versionen ist auch vom Bürgermeister selbst die Rede) auf eine rettende Idee. Man solle doch, so schlug er vor, die letzten noch vorhandenen Proviantreste zusammentragen, damit einen kleinen Hund mästen und diesen dann, wenn er so richtig rund und fett geworden sei, vor’s Stadttor schicken. Wenn der Feind das Tierchen sähe, müsse er annehmen, dass man innerhalb der Stadtmauern noch Lebensmittel in Fülle habe, was Erwartungen auf ein baldiges Aushungern zunichte machen und vielleicht zu einem Ende der Belagerung führen könnte.

Gesagt, getan: die Brettener trugen ihre letzten Vorräte zusammen und der kleine Hund konnte einige Tage lang geradezu in Futter schwelgen. Rasch und für jedermann sichtbar nahm er dabei an Gewicht und Umfang zu. Als er so richtig rund und fett war, schickte man ihn tatsächlich vor das Stadttor ins feindliche Lager hinein. Der gewünschte Effekt trat ein: als die Belagerer den gemästeten Hund sahen, mussten sie annehmen, dass die Stadt wohl noch reichlich Vorräte habe und die Belagerung folglich noch „Ewigkeiten“ dauern könne. Folglich beschlossen sie, das Unternehmen zu beenden und zogen unverrichteter Dinge ab. In ihrem Verdruss aber schlugen sie dem armen Hündlein seinen Schwanz ab und jagten es, solcherart verstümmelt, in die Stadt zurück. Behauptet wird allerdings zuweilen auch, das Abhacken des Schwanzes sei deshalb erfolgt, damit das erfolglos abziehende Heer überhaupt ein Ergebnis – und sei es auch nur einen nach Hause mitgeführten Hundeschwanz – habe vorweisen können. Dem zurückgekehrten Hündlein aber – dem Retter der Stadt – sollen die Bürger Brettens anschließend aus Dankbarkeit ein steinernes Denkmal gesetzt haben.

Natürlich war alles ganz anders – keine einzige der verschiedenen Belagerungen, die Bretten im Laufe seiner Geschichte und dabei ganz besonders im 16. und 17. Jahrhundert erlebte, konnte durch einen Hund abgewendet werden. Dies aber tat der Beliebtheit des „Brettener Hundle“ keinen Abbruch.

Das populäre Hundle

HundleIm Rahmen einer Betrachtung zur Steinfigur des Brettener Hundle an der Stiftskirche stellte der Brettener Heimatforscher Heinrich Schlörer 1936 mit Blick auf die kaum noch überbietbare „Hundle“-Begeisterung seiner damaligen Mitbürger fest:

„So sehen wir das ‚Brettener Hundle’ in allen Festschriften, auf dem Plakat für die 1925 stattgefundene Landwirtschafts- und Gewerbeausstellung, auf den Plaketten des Peter- und Paulschießens 1935 und 1936, auf den Prospekten des Brettener Verkehrsvereins, auf den Tschakos unserer neuentstandenen Bürgerwehr, auf den Briefhüllen des Rathauses und in der heimischen Tageszeitung. Wir finden es auf den Fahnen des Turnvereins, des Sängerbundes und der Brettener Bürgerwehr. Auch die Geschäftswerbung hat das Brettener Wahrzeichen verschiedentlich benutzt. So steht es auf der hübsch ausgeführten Fahne des Hesselbacher’schen Kaffees: ‚Kaffee zum Hundlesbrunnen’ und die frühere Schuhfabrik Groll hatte es für ihre Erzeugnisse als Warenzeichen gewählt. Auch die hiesige Ortsgruppe der Segelflieger taufte ihr erstes Schulungsflugzeug auf den Namen ‚Brettener Hundle’ und unter diesem Zeichen machte es manch glückhaften Flug, bis es das Schicksal so vieler Artgenossen fand. Seit jüngster Zeit trägt das neue Veit’sche Gesellschafts-Auto den Namen ‚Brettener Hundle’ und zeigt stolz das Brettener Wahrzeichen auf seinen Fahrten weit in die umliegenden Lande hinein.“

Die hier geschilderte Popularität des Hundle setzte sich in Bretten auch nach dem Zweiten Weltkrieg ungebrochen fort und hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten. Allerdings ist das Hundle inzwischen zeitgemäß geworden. Natürlich verrichtet es auch heute seine Dienste treu und unverdrossen auf dem gerade in Bretten besonders vielfältigen Gebiet der Heimat- und Brauchtumspflege. Aber mindestens ebenso wichtig geworden ist ein Bereich, der sich zu Zeiten Heinrich Schlörers bereits ankündigte: der Einsatz in der Werbung und im modernen „Marketing“.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg blieb das Hundle eine wichtige Symbolfigur im Brettener Vereins- und Festleben. So fand z.B. 1950, beim ersten Peter-und-Paul-Fest der Nachkriegszeit, ein von Rudolf Groll verfasstes Theaterstück mit dem Titel „Das Spiel vom Brettener Hundle“ beim Publikum große Beachtung. Viele Jahre lang lief im sonntäglichen Peter-und-Paul-Festzug als Reminiszenz an das Hundle zudem eine Gruppe von Schäferhunden mit. Und die ersten Fahnentücher des 1950 neu gegründeten „Fanfaren- und Trommlerzuges Bretten 1504“, der mit seinen in den blau-weißen Stadtfarben gehaltenen Uniformen in den folgenden Jahrzehnten landauf, landab zu einem weiteren Werbe- und Sympathieträger Brettens werden sollte, zeigten natürlich das Hundle als Symbolfigur. Mit „Brette Wau-Wau“ knüpft der närrische Schlachtruf der „Brettener Bütt“ ebenso an die Hundle-Thematik an, wie der Name der „Tanzsportclub ‚brettener Hundle’“. Und Scharen von Kindern haben sich seit den achtziger Jahren bereits an den fahrbaren Holz-„Hundle“ auf dem Marktplatz erfreut, während ihre Eltern vielleicht in einer benachbarten Konditorei „Hundle“-Figuren aus Schokolade erstanden.

Ausdrücklich mit landesgeschichtlichen Aspekten in Verbindung gebracht wurde das „Brettener Hundle“ schließlich 1992 im Rahmen einer von der Stadt Bretten und der damaligen Landesbildstelle Baden konzipierten Tonbildschau, zum 40. Jahrestages der Gründung von Baden-Württemberg. Unter dem Titel „Das Brettener Hundle bellt Südwest“ sollte sie in populärer Weise einen „Rückblick auf das Werden des Südweststaates im Grenzland zwischen Baden und Württemberg am Beispiel der Stadt Bretten“ geben. Als im November 1951 die Volksabstimmung über die Gründung des einheitlichen Südweststaates stattfand, stimmten die Brettener Wähler mit einer klaren Mehrheit für die grenzüberwindende Südwestsstaats-Idee. Leitmotivisch tauchte daher in der Tonbildschau immer wieder das „Brettener Hundle“ und wurde geradezu als lautstark bellender Propagandist der Südweststaats-Idee herausgestellt.

Hier allerdings schloss sich ein Kreis: bezieht man die Sage vom „Hundle“ und der Belagerung Brettens auf die Belagerung der Stadt durch Herzog Ulrich von Württemberg im Jahre 1504 – wie es nicht selten getan wird -, so stand der damalige Abzug der Württemberger auch für eine Grenzziehung: zwischen der Kurpfalz und dem württembergischen Herzogtum. Durch ihr Ja zur Gründung des Südweststaates brachten gerade die Brettener rund 450 Jahre später mit großer Mehrheit zum Ausdruck, dass sie diese alte Landesgrenze überwinden wollten. Wie sehr der Hund als mythologische Gestalt mit Erscheinungen wie Schwellen, Grenzen und Übergängen verbunden ist, wird in einer weiteren Folge (und dabei nicht zuletzt am Beispiel des Hundle an der Südmauer der Stiftskirche) noch zu zeigen sein.

Eine alte Wandersage

Seit wann ist die heute geläufige Sage vom „Brettener Hundle“, vom gemästeten kleinen Vierbeiner, der die Stadt bei einer Belagerung rettete, eigentlich bekannt? In gedruckter Form taucht sie erstmals vor genau 200 Jahren auf. Damals veröffentlichte der Historiker und Archivar Siegmund Friedrich Gehres in einem Esslinger Verlag sein Büchlein „Bretten’s Kleine Chronik. Ein Beitrag zur Kunde teutscher Städte und Sitten“. Darin stellte er unter Berufung auf vage mündliche Überlieferungen zunächst die Sage mit allen ihren bekannten Bestandteilen vor: der Belagerung, der Idee der Verteidiger, dem Mästen des Hundes, dem Aussenden ins Lager des Feindes und dem Abhacken des Hundeschwanzes.

Allerdings gibt es bei Gehres’ Wiedergabe der Geschichte zwei Details, die bei der späteren Überlieferung in dieser Form entfielen. Zum einen zogen danach die Belagerer gerade nicht wegen der List der Verteidiger ab, sondern erst einige Zeit später und aus nicht weiter ausgeführten Gründen. Zum anderen war das Abhacken des Hundeschwanzes laut Gehres keineswegs ein Zeichen wütender Resignation, sondern – ganz im Gegenteil ! – eine Warnung an die Brettener, dass sie bei weiterem Widerstand mit überaus blutiger Rache der Belagerer zu rechnen hätten. Damit erhielt das „Hundle“ ein Janusgesicht und übermittelte Botschaften an beide Seiten: den Belagerern kündete es vom (scheinbaren) Nahrungsmittelüberfluss in der Stadt, mit abgehacktem Schwanz aber überbrachte es den Verteidigern Brettens wiederum eine Drohung der Gegenseite.

Doch steht das „Brettener Hundle“, dass allein durch das Zeigen seiner Körperfülle und des damit assoziierten Überflusses die Stadt vor einer Belagerung rettet, in der deutschen und europäischen Sagenlandschaft keineswegs allein. Die Sage des „Hündleins von Bretten“ ist, soweit sie in Zusammenhang mit der angeblichen Rettung der Stadt steht, nur die örtliche Variante einer alten Wandersage, die in dieser oder jener Version vielerorts auftaucht. Ein literarischer Spaziergang durch die Sagenwelt Europas zeigt denn auch, dass das Brettener Hundle schon seit alters her zahlreiche „Verwandte“ hatte.

So verweist die Sage von der Gründung der Stadt Lübeck auf den Fischer Luba, der mit einem Kahn voller Fische scheinbaren Überfluss demonstriert und die Feinde der Siedlung zu einem Abbruch der Belagerung bewegt. Auf Schloss Greiffenstein in Südtirol, aber auch im südfranzösischen Carcassonne finden sich fast gleichlautende Sagen, nach denen bei einer Belagerung das letzte noch vorhandene Schwein mitten unter die Feinde geworfen wurde, um zu zeigen, dass der Versuch eines Aushungerns zwecklos sein. Im saarländische Berus schließlich soll, so eine örtliche Sage, in der gleichen Absicht während einer Belagerung der letzte Esel geschlachtet und seine Haut (mit dem letzten Korn gefüllt) ins feindliche Lager geschleudert worden sein.

Quer durch ganz Europa finden sich weitere Varianten dieses Sagenmotivs, die an dieser Stelle Rahmen gar nicht alle wiedergegeben werden können. Deutlich wird an den geschilderten Beispielen jedoch eines: die Brettener Haussage steht in Zusammenhang mit einem ganzen Sagenkreis, dessen Leitmotiv die Rettung befestigter Orte während einer Belagerung durch das Vorzeigen eines (allerdings nur scheinbaren) Überflusses an Nahrung ist. Die verschiedensten Tiere (Hunde, Schweine, Esel, Fische, usw.) verkörpern dabei diese vorgetäuschte Nahrungsfülle Dieses kontinental verbreitete Motiv gelangte als Bestandteil der lebendigen mittelalterlichen Erzählkultur auch in den Brettener Raum, wurde hier aufgegriffen und mit örtlichen Ereignissen und Gegebenheiten zu einer neuen Variante weitergedichtet.

Des Hundles ältere Verwandte

Das Brettener Hundle aus der wohl gängigsten Sagenfassung – jener von der Rettung der Stadt während einer Belagerung – hat eine Reihe von älteren Verwandten. Sowohl der badische Volksdichter Johann Peter Hebel als auch der romantische Sagensammler Karl Simrock überlieferten zum Beispiel die Geschichte vom Hund im Metzgerladen, die besonders traurig anmutet. Danach soll ein Brettener Bürger vor langer, langer Zeit einmal ein Hund besessen haben, der an Treue und Ergebenheit nicht mehr zu übertreffen war. Fast täglich wurde dieser wackere Vierbeiner von seinem Herrn mal zu diesem, mal zu jenem Metzger geschickt, um Fleisch und Wurst zu holen. Das treue Tier bekam einen Korb ins Maul, in dem sich Einkaufszettel und Geld befanden und trottete damit los. In der Metzgerei wurden ihm dann die leckeren Sachen in den Korb und damit direkt unter seine Nase gelegt, doch rührte er sie nicht an, sondern brachte sie wohlbehalten zu seinem Herrn.

Jahraus, jahrein ging dies gut. Doch dann passierte es, dass das treue Tier, dessen evangelischer Herr sich nicht um die freitäglichen Fastenvorschriften der Katholiken scherte, ausgerechnet an einem Freitag in den Laden eines frommen katholischen Metzgers geriet. Der geriet ob des Ansinnens, am Freitag Fleisch und Wurst verzehren zu wollen, derart in Zorn, dass er kurzentschlossen sein Fleischerbeil packte und dem armen Hund den Schwanz abhackte! Diesen legte er statt der gewünschten Wurst in den Korb und beförderte das Tier zum Laden hinaus. Nun war der Hund jedoch so treu und ergeben, dass er mit letzter Kraft den Korb mit seinem eigenen Schwanz darin nach Hause trug und vor seinem Herrn abstellte. Dann brach er – vermutlich verblutend – tot zusammen.

Diese traurige Erzählung vom Hund, der stets treu und brav Fleisch und Wurst nach Hause brachte und dessen unbedingte Treue schließlich tödliche Konsequenzen nach sich zog, ist zwar um einiges älter, als die heute so populäre Geschichte vom gemästeten „Hundle“, das die Stadt während einer Belagerung rettete. Doch gibt es darüber hinaus noch eine Reihe von weiteren Erzählweisen und Abwandlungen der Sage – das Brettener Hundle hat viele Verwandte, die teils vor Ort und teils in der Ferne zu finden sind.

So überlieferte Rochus von Liliencron 1867 den wohl ältesten literarischen Hinweis auf ein mögliches „Brettener Hundle“ („von Prethen das hündlein“) in Gestalt eines aus dem Jahre 1541 stammenden „Schandgedichtes“ auf den Landgrafen Philipp von Hessen, dem darin vorgeworfen wird, die Tochter des Braunschweiger Bürgers Kalm „in schand“ gebracht zu haben. Angesichts dieser Missetat möge er doch, so heißt es in dem Gedicht, nach Hause kommen „als wie von Prethen das hündlein“. Bei diesem Reimwerk stellt sich jedoch die Frage, ob sich der dort genannte Ortname „Prethen“ überhaupt auf das kurpfälzische Bretten bezog. Denn Bretten hieß seinerzeit - und noch für rund 200 weitere Jahre - „Brettheim“ und taucht unter diesem Namen bereits in den ältesten Urkunden auf. Die Schreibweise „Prethen“ dagegen ist für die Stadt weder um 1540 noch davor noch in den folgenden beiden Jahrhunderten überliefert. Die örtlichen Bezüge des Gedichtes (das Gebiet des Landgrafen von Hessen, die niedersächsische Stadt Braunschweig) deuten zudem so sehr in Richtung Norden, dass sich daraus nur zwei mögliche Schlussfolgerungen ziehen lassen: entweder war das Erzählmotiv des „Hündlein von Bretten“ um diese Zeit schon derart weit verbreitet, dass es auch im mittel- und norddeutschen Raum als geflügeltes Wort gebraucht werden konnte oder es bezog sich gar nicht auf Bretten, sondern auf einen viel weiter im Norden gelegenen Ort.

Weitere ältere Erwähnungen des „Hündlein von Bretten“ finden sich im 16. Jahrhundert auch als Schwank in der Chronik der Grafen von Zimmern und in der „Flohhatz“ des Straßburger Satirikers Johann Fischart. Im 18. Jahrhundert war es der Freiherr von Knigge, der das Thema wieder aufgriff. Doch gerade die eingangs erwähnte Geschichte vom Hundle im Metzgerladen, bei dem der früher auch im Alltagsleben spürbare Gegensatz zwischen Protestanten und Katholiken angesprochen wird, verweist auf Zusammenhänge, die noch darzustellen sein werden und als deren Schlüssel das steinerne „Hundle“ an der Südseite der Brettener Stiftskirche angesehen werden kann.

Das Hundle an der Kirchenmauer

Nicht nur auf dem Hundlesbrunnen in der Melanchthonstraße, sondern auch an der Südseite der heutigen Stiftskirche findet sich eine steinerne Darstellung des Brettener „Hundle“. Sie ist wesentlich älter als die erst 1880 gefertigte Brunnenfigur. Wie der Brettener Heimatforscher Heinrich Schlörer im November 1936 nach einer eingehenden Vor-Ort-Untersuchung des „Hundle“ an der Kirche zweifelsfrei feststellte, handelt es sich dabei um einen früheren Wasserspeier, in dessen Innern noch der ehemalige Wasserkanal verläuft. Seine Entstehung wird allgemein auf das 14. Jahrhundert und damit auf die mittlere (gotische) Bauphase der Stiftskirche datiert. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde diese Figur in Gedichten und Erzählversion mit der Sage von der Rettungstat des „Hundle“ in der belagerten Stadt in Verbindung gebracht.

Doch befand sich der frühere mittelalterliche Wasserspeier keineswegs immer an der Stelle, an der er heute zu sehen ist. Er gelangte wahrscheinlich (und spätestens) beim Umbau der Kirche im 18. Jahrhundert dorthin. Dieser Umbau wiederum wirft ein Schlaglicht auf die frühere Nutzung der Kirche. Ein landesherrschaftliches Edikt vom 29. Oktober 1689 machte die Stiftskirche zum Simultaneum, d.h. zu einem sowohl von den Reformierten wie von den Katholiken zu nutzenden Gotteshaus. Dies wurde ab 1705 in der Form realisiert, das die Kirche eine räumliche Teilung erfuhr. Während den Reformierten das Langhaus zustand, wurden die Katholiken, deren Zahl in Bretten deutlich geringer war, auf den (kleineren) Chor verwiesen. Der bisher offene, wohl um 1500 entstandene steinerne Lettner (die Trennung zwischen Langhaus und Chor) wurde geschlossen und markierte fortan im Kircheninnern die Grenze zwischen den Konfessionen. Die Lutheraner als dritte Konfession hatten bereits vorher die Kreuz- oder Lutherkirche als eigenes Gotteshaus errichtet.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert erfolgten beträchtliche Um- und Erweiterungsbauten an der Stiftskirche, zumal der den Katholiken zugewiesene Chorbereich für die gottesdienstliche Nutzung zu klein war und sich außerdem in einem schlechten baulichen Zustand befand. 1774 wurde vom Kurfürsten der Neubau des Chors angeordnet. In der eigentlichen Bauzeit, die von 1777 bis 1779 dauerte, entstand zwischen dem Langhaus und dem Chor genau jene Nische an der äußeren Kirchenmauer, in der das „Hundle“ bis heute seinen Platz hat.

Damit aber markierte das „Hundle“ an der Außenmauer der Stiftskirche die sichtbare Grenze zwischen reformiertem und katholischen Bereich des Gotteshauses: ein Hund als Hüter der Schwelle, als Wächter einer Grenze ! Die damaligen Baumeister , an ihrer Spitze der in kurfürstlichem Dienst stehende und hochgebildete Mannheimer Architekt Rabaliatti, mögen hierbei bewusst an ältere mythologische Überlieferungen angeknüpft haben, in denen Hunde immer wieder als Hüter einer Schwelle erscheinen, so z.B. an den „Höllenhund“ Cerberus aus der griechischen Sage. Für eine entsprechende symbolische Anspielung mag der aus einer älteren Bauperiode stammende hundeförmige Wasserspeier gerade recht gekommen sein, ansonsten hätte man ihn – da als Wasserspeier funktionslos geworden – wohl dem Bauschutt überantworten müssen.

Der Hund als Hüter einer Schwelle lässt aber – jenseits der konfessionellen „Grenzmarkierung“ zwischen den beiden Bereichen der Stiftskirche – auch noch andere Überlegungen zu. Nach Krieg und Belagerung von 1504 war zwischen Bretten und Knittlingen, zwischen Kurpfalz und Württemberg, eine neue Landesgrenze entstanden. Die Stadt Bretten selbst war geradezu zum „Grenzwächter“ und „Wachhund“ der Kurpfalz gegenüber den expansionsfreudigen Württembergern geworden. Die moderne Sagenforschung weiß, dass im Laufe von Jahrhunderte langen mündlichen Überlieferungen in eine Sage die verschiedensten Motive hineinverwoben werden – auch das lange „Grenzstadt“-Dasein Brettens könnte deshalb zur Herausbildung der Sage vom „Hundle“ beigetragen haben.

Vom „Trauben-Brunnen“ zum „Hundlesbrunnen“

Im Jahre 1880 erhielt das steinerne Hundle an der Südmauer der Stiftskirche Gesellschaft: die Stadt Bretten errichtete im Zuge einer Neugestaltunbg des traditionsreichen schon seit dem 14. Jahrhundert bestehenden „Trauben-Brunnens“ in der heutigen Melanchthonstrasse ein weithin sichtbares „Hundle-Denkmal“. Nicht wenige Sagen konnten eine derartige Popularität erreichen, dass man ihren tragenden Gestalten Denkmäler aus Stein oder Erz setzte. Die weltberühmte Skulptur der Meerjungfrau in Kopenhagen, der Göttinger Gänseliesel-Brunnen und das Denkmal des den Nibelungenschatz versenkenden Hagen am Wormser Rheinufer legen hiervon beredtes Zeugnis ab. Im ganz allgemein höchst denkmalseligen 19. Jahrhundert machte Bretten also keine Ausnahme.

Für die Fertigung der auf der Brunnensäule thronende Hundefigur konnte der Karlsruher Bildhauer Hischen gewonnen werden. Am 15. Juni 1880 wurden seitens der Stadt Bretten für die von Hischen auszuführenden Bildhauerarbeiten festgelegt, dass er sich nach einem Striederschen Entwurf zu richten hatte und für seine Arbeiten 220.—Mark erhalten sollte. Am 15. August sollte das Werk abgeschlossen sein. Doch konnte der vereinbarte Termin zunächst nicht eingehalten werden. Merkwürdigerweise wurde die Brunnensäule seinerzeit nicht mit der erst ein knappes Jahr zuvor fertiggestellten Kraichgaubahn von Karlsruhe nach Bretten transportiert, sondern mit einem Pferdefuhrwerk. Dieses aber kippte unterwegs um, wobei die Brunnensäule irreparabel beschädigt wurde. Hischen musste deshalb um die Einräumung einer Nachfrist von fünf Wochen für die Ablieferung seines Werkes nachsuchen, die ihm auch gewährt wurde. Am 23. September 1880 war es dann soweit: der neu gestaltete Brunnen konnte mit der Hundles-Figur bekrönt werden. Seitdem gehört er zu den wichtigsten Wahrzeichen Brettens und sein Bild schmückte bereits unzählige Ansichtskarten, Werbeprospekte, Geschenkverpackungen und vieles mehr.

Die Errichtung des Hundle-Denkmals im Jahre 1880 fiel allerdings in eine Zeit, in der es für Hunde in Bretten nicht ganz geheuer war. Denn nur ein knappes Jahr später, im Mai 1881, merkte das „Brettener Wochenblatt“ an, dass wegen gestiegener Einwohnerzahlen (Bretten hatte gerade die 4 000er-Schwelle überschritten) nun eine höhere T Hundesteuer greife. Dies, so das „Wochenblatt“, werde wohl leider „das Schicksal so manch’ treuen Begleiters seines Herren besiegeln“. „Hoffentlich“, so der Schreiber weiter, „wird denselben vorher noch die ‚Henkersmahlzeit’ gewährt.“ Der Dank, den die Brettener gegenüber ihrem Sagen-„Hundle“ durch die Errichtung eines Denkmals zum Ausdruck brachten, wurde somit nicht auf die 1881 noch in der Stadt lebenden Exemplar der Gattung übertragen. Vielmehr war es seinerzeit der schnöde Mammon, wegen dem so mancher brave Hund – ungeachtet seiner bisher erworbenen Verdienste – keineswegs nur den Schwanz, sondern gleich das Leben lassen musste. Aber immerhin: der Stadt selbst war kein Vorwurf zu machen, denn die Höhe der Hundesteuer wurde seinerzeit noch durch ein Gesetz der großherzoglichen Regierung festgelegt.

Mit einem “Hundlesfest” im Rahmen des Weinmarktes feierte Bretten am 23. September 2005, genau 125 Jahre nach Errichtung der Brunnensäule mit dem „Hundle“, ein „Hundles-Fest“ direkt beim Brunnen in der Melanchthonstraße. Die musikalische Umrahmung übernahm der „Ehemaligen-Zug“ des Fanfaren- und Trommlerzuges Bretten. Der Verein für deutsche Schäferhunde zeigte heutige „Brettener Hundle“ mit verschiedenen Vorführungen. Das Interesse des Publikums war groß – und die modernen „Hundle“ freuten sich, den Besuchern ihr Können vorführen zu dürfen.

Dr. Peter Bahn
Leiter des Stadtmuseums Bretten